Ausstellung "Malerei" in der Alten Kirche Kelkheim-Hornau, 08. - 25.11.2015
Folgende Werke stelle ich hier aus:
Nr. 480 "Das Tor der Gegenwart: Vertrauen", Acryl/Materialcollage auf Leinwand 2014, 100x120
Nr. 479 "Das Tor der Gegenwart: Hoffnung und Glaube", Acryl/Materialcollage auf Leinwand 2014, 100x120
Nr. 481 "Das Tor der Gegenwart: Liebe", Acryl/Materialcollage auf Leinwand 2014, 100x120
Rede zur Eröffnung der Ausstellung am 08.11.2015:
Lissy Theissen
Einführung zur Ausstellung „Malerei“
Alte Kirche Kelkheim-Hornau
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde!
Ich freue mich sehr, dass Sie alle unserer Einladung zur Malereiausstellung gefolgt sind und nun stehen wir hier, Betrachter und Künstler, an einem Sonntagmorgen an diesem alt-ehrwürdigen Ort.
Alles nett! Aber sagen Sie mal ehrlich, ist es nicht ein bisschen anachronistisch, was wir hier machen?
Da stellen sich auch in der heutigen Zeit immer wieder Künstler vor die leere Leinwand und bemalen sie mit Pinsel und Farben etc. und Sie, Sie kommen und betrachten dies.
Ist das noch zeitgemäß? Ein Klick mit dem Smartphone, dann gedruckt auf die Leinwand in der Größe, wie wir es für die Dekoration unseres Heimes brauchen, Bilder gibt es doch genug. Brauchen wir die Malerei wirklich noch? Oder anders gefragt: Existiert die Malerei nur noch, weil es immer wieder Menschen gibt, die bereit sind, viel Geld, Zeit, Lust und Mühe für die Malerei aufzubringen, ja mit Hingabe betreiben? Und Sie als Betrachter, Sie wählen die Freizeitbeschäftigung der Kunstbetrachtung? Ist das nur unser gemeinsames Spiel? Oder steckt da mehr dahinter? Vielleicht ganz viel?
Natürlich wissen wir alle, dass die Malerei in den früheren Jahrhunderten, als es noch keine Fotografie gab, auch dem historischen Bedürfnis nach Festhalten von Personen, Ereignissen oder Lebensumständen nachkam. Aber das aus dem Lateinischen stammende Wort“ historisch“ leitet sich von dem griechischen „historein“ ab, was so viel wie „erzählen“ bedeutet. Und dieses Wort geht wiederum auf das griechische Wort „histor“ gleich „Richter“ zurück. Das Wort „ Geschichte“ ist also doppeldeutig. Wendy Beckett sagt dazu in der Geschichte der Malerei: “Wenn wir die Ebene des Historischen verlassen, finden wir Geschichten. Kunst erzählt unendlich viele Geschichten, wir müssen einfach nur hinschauen.“
So neu ist dieser Gedanke eigentlich nicht. Und dennoch spannend: Menschen erzählen uns auf Leinwänden und in der gesamten Kunst, was ihnen wichtig und bedeutsam erscheint, erzählen es auf ihre ganz individuelle Art und „verorten“ sich dabei selbst in ihrem persönlichen Denken und Fühlen . Der Betrachter, der zu schauen und sich darauf einzulassen vermag, ist plötzlich ganz nahe an diesen Gefühlen und Gedanken des Malers, der Malerin. Und auch er sucht und versucht sich zu“ verorten“.
Wo stehe ich? Sehe oder empfinde ich das auch so? Oder ganz anders? Wo ist mein Ort? Da gelangen wir zu Jean Christophe Amman, dem großen Kunsthistoriker unserer Zeit, der leider neulich verstorben ist.
Sie kennen vielleicht seine Bücher“ Das Glück zu sehen“ (1998) oder “Annäherung: die Notwendigkeit von Kunst“ (1996) oder sein letztes Werk, das er 2014 herausgebracht hat: „Kunst? Ja, Kunst! Die Sehnsucht der Bilder“.
Ich möchte mit Ihnen im Folgenden einigen seiner Gedanken nachspüren, die er in einem Aufsatz über „Kunst“ ausführt.
Er sagt dort: „Informationstechnologie und ‚digitale Kompression‘ haben wahrnehmungspsychologisch unser Bewusstsein im Sinn einer Virtualisierung von Realität unterwandert. Eine zweidimensionale, flache Bildschirmwahrnehmung, verbunden mit einem vollen Spektrum von täglichen Reizbildern aus aller Welt und aus allen Welten, raubt uns die Fähigkeit, die eigenen Bilder und somit das eigene Begehren zu generieren. Der im Netzwerk ‚gefangene‘, navigierende Mensch reagiert emotional auf Signale, sucht sie zu verarbeiten, wird in hohem Maße von sich selbst abgelenkt, so dass er nicht zu sich selbst kommt.
Die zweidimensionale Bildschirmwahrnehmung ist der Grund dafür, dass wir die Welt selbst ‚flach‘ sehen und damit selbst flach werden, den Tiefenraum in uns selbst verlieren. … Dieser Verlust der Bilder ist eines der großen spirituellen Probleme unserer Zeit. Wir stehen heute vor der schwierigen Aufgabe, den Tiefenraum unserer Existenz zurückzugewinnen. Und dabei kommt der Kunst eine wichtige Rolle zu.“
Was versteht Amman unter dem Begriff Tiefenraum? Drei Aspekte sind es, die er hier aufführt:
Der Tiefenraum der Religion, der Tiefenraum der Kultur und schließlich der Tiefenraum der eigenen Bilder. Zu diesem dreifach strukturierten Raum gibt es drei Wege, durch die er wieder erschlossen werden kann.
Zum religiösen Tiefenraum führt Amman aus “Wenn heute jemand sagt, er sei Atheist, so hat er wohl immer noch, wie einst Nietzsche, einen weltanschaulich, gleichsam nationalreligiös verordneten Gott vor Augen, dem dieser zu Recht die Anerkennung versagte. Seither ist das Gottesbild aber in einem radikalen Wandel begriffen. Mathematiker und Physiker- unter anderem Kurt Gödel, Roger Penrose oder Max Tegmark – haben auf eine universale Gedächtnisstruktur aufmerksam gemacht, die hinter den Urknall zurückreicht. Ob sie nun Gott oder Tao genannt wird - es handelt sich um ein universales Energiefeld, das empfindungsmäßig nur in uns selbst geortet werden kann. Der Weg dahin ist die Mystik, und so scheint mir das berühmte Wort Karl Rahners zuzutreffen, wonach der Christ der Zukunft ein Mystiker sein werde.“
Ich komme zum zweiten Aspekt des Tiefenraums. Zum kulturellen Tiefenraum lässt Amman uns dem amerikanischen Unternehmensberater Jeremy Rifkin in seinem Buch „Access“ begegnen. Dieser schreibt: “Wenn das kapitalistische System weiterhin große Bereiche der Kultur in seine Sphäre saugt, indem es aus diesen (Sphären) warenartige Produkte, Produktionsweisen und Erfahrungen macht, besteht die Gefahr, dass das kulturelle Leben soweit verkümmert, dass es nicht mehr genug soziales Kapital hervorbringen und somit auch das wirtschaftliche Leben nicht mehr stützen kann.“
Amman sieht den kulturellen Raum als gefährdet an: „Wiedergewonnen werden kann er nur durch kulturelle Arbeit.“ Und er führt hier Alberto Giacometti an, der seinen Modellen grenzenlose Geduld abverlangte: “Es ist der Raum, den man gräbt, um den Gegenstand zu schaffen und im Gegenzug schafft der Gegenstand den Raum. Es ist der Raum selbst, der sich zwischen Modell und Bildhauer befindet.“
Für die Malerei bedeutet das: Es ist der Raum, den man schafft, um das Bild zu gestalten und im Gegenzug schafft das Bild den Raum. Es ist der Raum selbst, der sich zwischen Bild und Maler befindet und den dann auch der Betrachter spürt.
Wir kommen zum letzten von Amman genannten Aspekt, dem Raum der eigenen Bilder.
Amman verweist hier auf Peter Handke, der in seinem Roman „Der Bilderverlust“ eine treffende Diagnose des Schwindens der eigenen Bilder vorlegt: “Zwar seien die Bilder notwendig, ohne sie keine Weltvermittlung und kein Lebensgefühl. Aber insbesondere in dem vergangenen Jahrhundert sei ein Raubbau an Bildern betrieben worden wie noch nie. Und so sei die Bilderwelt aufgebraucht - ausnahmslos blind, taub und schal geworden - von keiner Wissenschaft mehr aufzufrischen…“. Hier fragt Amman: Wie kann der Bilderraum zurückgewonnen werden?
„Der amerikanische Autor David Foster Wallace schreibt in „Kleines Mädchen mit komischen Haaren: “Heute, wo wir selbst beim Chinesen mexikanisch essen können, während im Hintergrund Reggae läuft und im Fernsehen gleichzeitig eine sowjetische Sendung über den Fall der Berliner Mauer zu sehen ist, heute, wo uns alles so verdammt bekannt vorkommt, hat sich die Aufgabe des Realismus ebenfalls verwandelt. Um einen ähnlichen Erkenntnisschub zu erzielen wie vor hundert Jahren, müsste realistische Literatur im Bekannten das Fremde aufdecken, müsste paradoxerweise das, was wir für ‘real‘ halten, das heißt die zweidimensionalen Medienbilder, in die dreidimensionale Welt zurückgeführt, also aus den flachen Images des Fernsehens die verloren gegangene Wirklichkeit rekonstruiert werden.“ Auch hier wird also eine Lanze für die Malerei gebrochen.
Jean Christophe Amman lenkt unseren Blick dann auf die Tatsache, dass es noch wunderbare Schriftsteller und Künstler gibt, die durch ihr antizyklisches Denken die Tiefen und Schwingungen ihres eigenen Resonanzraums aushorchen. “Es gibt Maler, die über die Tradition der figürlichen Malerei diese mit einem Bewusstsein von Gegenwart zu unterwandern wissen. Ihnen kommt die Funktion von Wegbereitern zu. Weshalb? Weil der Maler das Bild der Malerei in sich selbst gegen alle Widerstände generieren muss. Ich spreche vom Maler heute, der, weil die Malerei in Vergessenheit geraten ist, diese für sich selbst neu entdecken muss.
Der Auftrag des Künstlers ist dabei aber im Kern derselbe geblieben: Er erforscht sein Selbst aus einem Bewusstsein und Denken von Gegenwart heraus… Das Selbst aber ist, so der amerikanische Schriftsteller Walker Percy, ein ‚Loch im Kosmos‘. Es ist unergründlich. Und doch kann der Künstler in es vorstoßen, wenn er in sich den Tiefenraum seiner Bilder in Resonanz zu setzen vermag.“
Wie aber kann er das schaffen, werden Sie fragen? Wie vermag der Künstler sich in den Tiefenraum seiner Bilder in Resonanz zu setzen? Amman sagt dazu: “Dafür ist es notwendig, dass er(der Künstler) sich von den zentralen anthropologischen Konstanten der Existenz leiten lässt. Er ist ein handelndes, ein kommunizierendes, ein imitierendes und ein gieriges Wesen. Sodann verfügt er über zwei Seiten: Auf der einen befinden sich seine inhaltlichen, auf der anderen seine generativen Aspekte. Erstere sind gekennzeichnet durch die Komponenten Zeit, Angst, Tod, Sexualität. Die generativen Aspekte sind: Ordnung und Unordnung (die sich zueinander verhalten wie Zufall und Notwendigkeit), Suchen und Finden, Ähnliches und Verschiedenes“.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen zum Entdecken in dieser Ausstellung den Satz von Sören Kierkegaard als Leitspruch mitgeben: “Du musst dich nach vorne erinnern“. Nur wer sich nach vorne erinnert, nimmt sich selbst mit auf den Weg.
Dazu ein letzter Gedanke von Jean-Christophe Ammann aus seinem letzten Buch: „Der Mensch will heute über die Kunst nicht mehr belehrt werden. Er will auch keine ‘interessante‘ Informationsverarbeitung. Er will sich an das, was er gesehen hat, erinnern. Erinnern meint hier etwas, was in die Sinne sickert, sich zu einem Bild verdichtet. Ein Bild, das in der Lage ist, ihn auf dem Weg zu begleiten.“
Mit diesen Gedanken entlasse ich Sie in die Ausstellung, wünsche Ihnen gutes Erinnern und dass Sie den Tiefenraum der Kunstwerke und ihren Sinnhorizont erspüren!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Bilder von der Vernissage:
Presseberichte zur Ausstellung: