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Rede Lissy Theissen 1992, Palmengarten Frankfurt am Main - Lissy Theissen

Lissy Theißen                                                                                                                         30.04.1992

 

Vernissage der Ausstellung “Erlebnislandschaften in Seide und Acryl”, Palmengarten Frankfurt am Main

Meine Damen und Herren, ich freue mich, Sie hier zu treffen. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns miteinander ein gutes Gespräch.

Haben Sie schon einmal das Gefühl gehabt, in einer "großen" Ausstellung viel gesehen zu haben, erhabene große Kunst, und gingen Sie nicht trotzdem mit einem Gefühl des leichten Unbehagens nach Hause? Es war nichts herübergekommen, Sie waren Außenstehende geblieben, es hatte Sie nichts wirklich angerührt. Mir geht es sehr oft so bei alten Meisterwerken, ich bewundere die Perfektion des Handwerks, aber mein Herz bleibt  zu.

Für mich ist Kunst Kommunikation, vorwiegend non-verbale naturgemäß. Aber eine Kommunikation, die viel direkter ablaufen kann, wenn sie es vermag, seelische Vibration zu erzeugen.  Erlebnislandschaften sind es, die ich male.

Daher frage ich, mit welchen Erlebnissen kommen Sie z.B. abends nach Hause? Doch nicht nur mit Erinnerungen an die Anzahl der Autos, Bücher, Computer, Häuser, Büros etc., die Sie gesehen haben. Ihre Erlebnisse, die Sie gehabt haben, die feinen Schwingungen, die in Ihnen erzeugt wurden, sie bilden di.e Erlebnislandschaft, die so ein Tag in uns hinterläßt. Es ist eine spannende  Sache, wenn wir uns Zeit nehmen, unsere Erlebnislandschaft als Beobachter zu betrachten. Und hier setzen  meine Bilder an.

Sie eröffnen die Metaebene der Kommunikation. Es sind nicht die Dinge, es ist nicht das Äußere  eines Menschen,  sondern es sind die subtilen Schwingungen, die uns zwischen Körper und Geist gefangen nehmen oder abstossen. Wirkliche Faszination in der Kunst erreicht uns nur, wenn wir uns persönlich angesprochen fühlen, wenn ein Gedanke, ein Gefühl, eine Erfahrung oder ein Erlebnis, das wir nachvollziehen können, in diesen  Kunstwerken "vorkommt".

Vor diesem Hintergrund fang ich an zu malen. Da gibt es ein Erlebnis, das sich in mir breitmachen will. Ich gewähre meiner Seele Raum, es anzuschauen, und beginne in meditativer Stille, ohne fixiertes Konzept, meine Farbauswahl zu treffen, mich der Leinwand oder der Seide auszusetzen und in mich hineinzuhorchen. Da ist die Frage nach der Technik absolut zweitrangig. Umringt von materiellen und methodischen Möglichkeiten, die zum Einsatz bereitliegen, wähle ich spontan das aus, was sich im Augenblick für mich am besten erweist, um materieller Träger meiner seelischen Botschaften zu sein. Jedes Mittel ist mir recht, wenn es der inneren Notwendigkeit gehorcht.

Fragen Sie mich bitte nicht, ob es eine Malerei nur aus dem Bauch ist. Die Unterteilung zwischen Kopf und Bauch halte ich für höchst wider sinnig. Wenn Sie an einem schönen Frühlingsmargen einen Spaziergang machen, sortieren Sie doch auch nicht, ob Sie nur mit Kopf oder Bauch, Verstand oder Gefühl dabei sind. Alle Gefühle werden in Tausenden von Gehirnsynapsen transportiert, Seele und Körper sind eine Einheit, wie  man zusehends  auch  in der  modernen Medizin erkennt.

Lassen Sie mich nun exemplarisch ein paar Worte zu einem meiner Bilder sagen. "Glut, Wüste und Oase in dir", das provokative Rundbild mit 1,50 m Durchmesser, malte ich letztes Jahr unter dem Eindruck von Urlaubsbildern aus der Sahara. Draußen, die Sonne auf der Haut spürend, wurde die

Erinnerung an die Wüste geweckt. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, seelisches Erleben einmal als runde Scheibe darzustellen und dahinein meine Gefühle von Sonnenglut, Wüste und Oase zu projizieren. Der Transfer dieser real erlebten Landschaft in die Struktur seelischen Erlebens verfolgte mich mehrere Tage lang, die Idee ließ nicht locker und ich gab ihr nach. Kennen wir nicht alle die Glut in uns, wenn wir für einen Menschen oder ein neues Ziel in Flammen stehen? Tragen wir nicht eine gro ße  Sonne in uns, zu der wir nur Zugang haben müssen? Aber ist da nicht auch das Gefühl der Wüste, das uns so mancher Alltag hinterläßt? Immer weiter, kräftezehrend, ermüdend, Enttäuschungen, Fata Morganas, und dabei die einzige Suche nach der rettenden Oase, die uns wieder aufleben lassen könnte. Da plötzlich sind wir mittendrin in unserer Oase, wir leben wieder und haben das Gefühl, daß das Grün unser eigenes ist. Da fließen Wasser - da ist ein Mensch - eine Erkenntnis - ein Buch - ein Musikstück - ein Brief - ein Gespräch - und mehr, was die Oase in uns wieder aufschließt. Es ist eine runde Sache, so ein Luftbild unserer Erlebnismöglichkeiten.

Soweit diese eine Erlebnislandschaft, die von meiner Geschichte aus zum Spiegelbild des eigenen Erlebens des Betrachters wird, wenn er bereit ist, sich darauf einlassen und den Widerhall in sich zu verspüren. Der Titeljedes Bildes ist bei mir zugleich der Schlüssel zum Raum der Erlebnislandschaft. Mit ihm vermag der Interessierte sich einzuschwingen in die Farben und Formen; Formen, die immer als Metapher zu sehen sind. Es geht nicht um die einzelne Pflanze, den Baum, das Haus, den Vogel, den Frühling, es geht immer um Abbilder seelischer Prozesse, bei denen unser Unterbewußtsein eine Menge von symbolträchtigen archaischen Vokabeln zur Verfügung stellt. So vollzieht sich in meinen Werken ein "action painting", das nur der inneren Notwendigkeit zu folgen  hat.

Wenn Kafka uns in seiner Literatur das Bild vom Hungerkünstler zeichnet, der eigentlich keiner sein wollte, der nur hungerte, weil er nicht die Speise finden konnte, die ihm schmeckt, so sehe ich viele Zeitgenossen als Hungerkünstler, die unfreiwillig hungern, weil sie die Speise zu einem glücklichen Leben nicht finden. Wenn Herz- und Kreislauferkrankungen Todesursache Nr. 1 bei uns sind, vorwiegend bedingt durch Hektik und Streß, dann werden Sie verstehen, daß ich keine schlichte Träumerin bin, sondern in der Kunst die Chance sehe, unsere Seele wieder ins Gespräch zu bringen. Ohne Zugang zur eigenen Seele erscheinen wir wie ein anderes Bild bei Kafka: Der Tor, der nie Zugang zu sich selbst und damit auch zu Göttlichem fand, weil er sich von Türhütern abhalten ließ. Bei Kafka sagt der Türhüter dem Sterbenden vor der Tür: "Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für Dich bestimmt." Wollen wir so trostlos leben, ohne Zugang zu uns selbst, ohne Reflexion über unser eigenes Woher, Wohin und Wie? Kunst muß in meinen Augen, und das ist meine Forderung, der Seele in uns Raum gewähren, uns anziehen, einladen zum Gespräch mit uns selbst. "Vergiß nicht zu träumen!" Wer hat Ihnen diese Aufforderung schon einmal ans Herz gelegt? Ich möchte es tun, nicht zuletzt mit meinem Kalender für 1993.